Angst vor Sichtbarkeit? Nicht unbedingt ein Thema für mich! Als ich im Oktober die vielen Aufrufe der Blogparade Herbst 2023 durchgeschaut habe, um mir einen Überblick zu verschaffen, bin ich erstmal nicht bei Sabine Becks Blogparade „Wie überwindest Du Deine Angst vor Sichtbarkeit?“ hängen geblieben. Jetzt, kurz vor Schluss, zieht es mich doch noch dahin.
Gerade eben habe ich den Artikel „Die Geschichte meines Blogs“ veröffentlicht. Darin bin ich auf meinen Struggle mit dem Schreiben eingegangen, und darauf, wie es trotzdem zu diesem Blog kam. Als einen Grund nenne ich, dass ich mich mit dem, was ich für mich erkannt und gelernt habe, zeigen möchte. Ich wollte unbedingt sichtbar werden. Dieser Wunsch nach Sichtbarkeit ist mein Antrieb, auch für meinen Instagram-Account. Aber was steckt eigentlich dahinter? Und, habe ich wirklich keine Angst davor?
Was bedeutet Sichtbarkeit für mich?
Wenn wir von Sichtbarkeit sprechen, geht das natürlich über eine rein visuelle Wahrnehmung hinaus. Ich persönlich meine damit auch nicht, Präsenz auf dem Coaching-Markt zu zeigen, um gefunden werden zu können. Sehr angeprochen hat mich die Definition des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache: „Erkennbarkeit; sichtbare, deutliche Beschaffenheit“.
Mich sichtbar zu machen, bedeutet für mich also, mich zu zeigen, erkennbar zu sein mit meinen Werten und Überzeugungen. Mit meinen Stärken und auch mit meinen Schwächen. Mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen, mit meinen Träumen und meinen Visionen. Die Beschaffenheit meiner Persönlichkeit darf sichtbar werden.
Warum muss das öffentlich sein, warum kann ich das nicht für mich im stillen Kämmerchen machen? Ehrlich gesagt sind das Fragen, die mich noch etwas in die Enge treiben könnten. Ist es Geltungsdrang, die Suche nach Aufmerksamkeit? Blüht nicht das Veilchen im Verborgenen, während nur die stolze Rose immer bewundert werden will? Halt, stopp! Ich werde mein Leben nicht nach abgedroschenen Sprüchen aus dem Poesiealbum ausrichten!
Sichtbarkeit als Kind und Jugendliche
Wobei da natürlich etwas dran sein könnte. In der Tat stand ich als Kind ganz gerne im Mittelpunkt, was als älteste von drei dicht aufeinander geborenen Geschwistern bei meinen Eltern vermutlich nicht einfach war. Bei Aufführungen der Musikschule, der Klasse, der Theatergruppe allerdings war ich immer gerne dabei – wenn möglich in einer Hauptrolle. Unter meinen Freundinnen, Geschwistern und den Nachbarskindern war ich die Bestimmerin, mein Vater nannte mich deshalb auch, gar nicht liebevoll, „Fräulein Rottenmeier“, wie Heidis Gouvernante.
In der Schule, im Unterricht war ich sehr aktiv, immer präsent, ob als Klassensprecherin oder als Wortführerin eines ‚Umweltclubs‘ – bis ich in der achten Klasse so eine Art kurzzeitiges Mobbing aufgrund meines Auftretens erfahren musste. Zwei Schulkameraden riefen mir „Häuptling Sitting Senff“ hinterher und jagten mich zur Freude der anderen durchs Klassenzimmer. Das Thema „Häuptling Sitting Bull“ hatten wir gerade in Englisch und „Senff“ ist mein Mädchenname.
Rückzug ins Gefällige
Wenn ich nach Gründen für mein Verstummen, meinen Rückzug suche, fällt mir als erstes immer dieses „Häuptling Sitting Senff“-Ereignis ein. Natürlich spielen aber auch noch andere Faktoren eine Rolle. Ich wollte so gerne Erfolg bei den Jungs haben, überhaupt war mir immer daran gelegen, für andere ‚angenehm‘ und ‚umgänglich‘ zu sein. Es ihnen nicht unbedingt recht, aber leicht mit mir zu machen. Eine geborene People-Pleaserin halt.
Nun gut, als Jugendliche und junge Erwachsene waren also andere Eigenschaften gefragt, um anzukommen. In Zukunft weniger offensiv, weniger selbstbewusst, lieber bescheidener und unauffälliger auftreten, das schien erfolgversprechend- und ich war ja lernfähig. Und noch etwas bekam ich etwas später, als lebensfrohe, optimistische junge Mutter mit drei kleinen Kindern von einer anderen Mutter frustriert zurückgemeldet: Bei mir sehe alles so leicht aus, ich würde ja nie Schwäche zeigen. Ups, na gut, dann also auch noch eine Portion Selbstzweifel draufpacken, so müsste es gehen.
Puh, fortan schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Das neue, das ruhige, das angepasste, das schon ins Rasen kam, wenn ich vor ein paar Leuten etwas sagen musste. Und das alte, das immer schwächer zu werden schien, das aber immer noch Gefallen an großen Auftritten hatte. Das zum Beispiel im Rahmen unserer Schulentwicklung aufblühte, als ich eine ganze Konferenz alleine organisieren durfte, als ich unser Konzept anhand einer eigenen, ausgefeilten Präsentation in der Gemeindehalle vorstellte. Das immer noch dann stark wurde, wenn es darum ging, im Zweifelsfall für meine Werte einzustehen.
Heimweh nach mir
Und in diesen Momenten bekam ich so etwas wie Heimweh. Nach dem unerschrockenen Mädchen, das ich gewesen bin, bevor die Angst vor Sichtbarkeit Einzug gehalten hatte. Und das trotz allem noch immer in mir zu stecken schien. Als ich während meiner ersten großen Lebenskrise, der Trennung von meinem ersten Mann, bei Andrea Brackmann in Frankfurt Unterstützung suchte, erfuhr ich vom Konzept des Inneren Teams. Meine beiden Hauptpersonen waren „Pippi Langstrumpf“ und „Frau Kächele“.
Hatte die ersten Jahre meines Lebens hauptsächlich Pippi Langstrumpf die Oberhand, mit der ich mir meine Welt machen konnte, wie sie mir gefiel, schien nun die große Zeit der Frau Kächele angebrochen zu sein, jedenfalls waren sie ständig im Widerstreit und Frau Kächele erwies sich als hartnäckiger. Sie war eine typische schwäbische Hausfrau, stark angelehnt an meine Backnang-Oma, die auf Recht und Ordnung bedacht war und der es immer darum ging, was wohl ‚die Leute‘ dachten.
Um jetzt hier nicht zu sehr abzuschweifen: Die nächsten Jahr(zehnt)e wurde es ruhig um mich, das mit den Selbstzweifeln ist dann im Laufe der Zeit etwas eskaliert… Besonders auch durch meine zweite große Lebenskrise, die Ehe mit meinem zweiten Mann. Ich fühlte mich gefangen in einer Sackgasse, hatte kaum noch Kraft und Lebensmut. Eine schwierige Zeit, aber auch der dringend notwendige Auslöser, um endlich wieder aufzutauchen. Mich auf den Weg zu machen und zurückzufinden zu mir. Um quasi heimzukommen.
Darum ist mir Sichtbarkeit heute so wichtig
Tja, hier bin ich. Sichtbar mit meiner Lebensgeschichte. Mit meinen Wünschen und Hoffnungen. Zumindest soweit ich darüber selbst schon Klarheit habe. Das Schreiben hier hilft mir dabei. Es ist eine Art spielerisches Ausprobieren. Wie fühlt es sich an? Passt es zu mir? Nach und nach schält sich meine alte, neue Persönlichkeit heraus und ich möchte damit erkennbar sein.
Angst vor Sichtbarkeit habe ich dabei nicht wirklich. Manchmal ist mir vielleicht noch etwas mulmig, aber das ist für mich eine Art Gradmesser, inwieweit ich zu mir stehen kann. Die wachsende Sicherheit, die sich durch das Sichtbarwerden ausdrückt, bestärkt mich in meiner Selbstwirksamkeit und gibt mir das Gefühl der Freiheit. ‚Die anderen (Leute)‘, das habe ich längst gemerkt, sind in Wahrheit meine eigenen Zweifel, Ängste, Unsicherheiten. Ich fürchte sie nicht mehr. Sie weisen mir den Weg.
Der Blog und Instagram sind für mich nicht lästige Pflicht, um ein Business voranzubringen, sondern machen mir zur Zeit großen Spaß. Es ist wie eine große Spielwiese, auf der es viel Neues zu erkunden gibt. Das alles folgt bisher auch noch keinem erklärten Zweck, ich schaue einfach, wohin es mich bringt.
Ich persönlich freue mich immer, wenn ich auf Menschen stoße, die erkennbar sind. Meist sind es übrigens Frauen, die sich zeigen mit all dem, was sie ausmacht. Sie bestärken mich in meinem Weg oder helfen mir, meine eigenen Werte und Ziele zu überprüfen. Die Zeit wird es weisen, ob meine Erfahrungen und mein Wissen für andere nützlich oder inspirierend sein werden. Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen.
Liebe Carolin,
Sichtbarkeit als Gradmesser, wie weit ich zu mir stehen kann. Dieser Gedanke in Deinem Beitrag gefällt mir besonders gut. Vielen Dank fürs „gerade noch so“ Mitschreiben bei meiner Blogparade „Wie überwindest Du Deine Angst vor Sichtbarkeit?“. Ich freue mich, dass Du dabei bist.
Passend zu Deinem Thema Biografisches Schreiben, zeigst Du sehr schön, wie stark die eigene persönliche Sichtbarkeit im Laufe des Lebens schwanken kann. Die Bereitschaft, die Lust und das Vermögen dazu sind nicht immer gleich stark vorhanden.
Und wenn Du von Pipi und Frau Kächele in Deinem inneren Team schreibst – muss ich als gebürtige Schwäbin erstmal grinsen und meine zu wissen, wie dieses Doppel aussehen kann und welche Diskussionen es austrägt.
„Heimweh nach mir (…), nach dem unerschrockenen Mädchen, das ich gewesen bin, bevor die Angst vor Sichtbarkeit Einzug gehalten hatte.“ Das ist sehr schön formuliert. Wie gut, dass Du diese Reise gestartet hast!
Lieben Dank & liebe Grüße
Sabine